Heilen an Leib und Seele. Medizin und Hygiene im 18. Jahrhundert
Online-Ausstellung zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2021
Online-Ausstellung zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2021
Fragen der körperlichen und mentalen Gesundheit bestimmen unser Leben. Wie wir heute waren auch die Menschen in früheren Jahrhunderten um ihre Gesundheit besorgt. Das Wohl von Leib und Seele war dem Halleschen Pietismus ein dringliches Anliegen. Vor dreihundert Jahren, 1721, legte August Hermann Francke (1663–1727) den Grundstein für sein »Krancken-Haus«. Es diente hauptsächlich zur Versorgung von Waisen. Darin wurden bis zu 20 Jungen, in Einzelfällen auch Mädchen behandelt. Es gilt heute als eines der ersten Kinderkrankenhäuser in Europa. Die 300-jährige Wiederkehr der Grundsteinlegung ist der Anlass für die Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2021. Sie thematisiert Medizin für Körper und Seele, Hygiene und Diätetik sowie Pharmazie und Alchemie und regt dazu an, Brücken aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu bauen. Damals galt wie heute auch: Gesund bleiben!
Mit dem Neubau des Krankenhauses ab 1721 wurde Neuland in der Pflege erkrankter Kinder betreten. Das Gebäude war gemäß den modernsten Ansprüchen der Zeit konzipiert.
Es war etwas abgesondert nach Süden und umgeben von Gärten gelegen, was die nötige Ruhe garantierte. Zudem war durch diesen besonderen Platz sichergestellt, dass das Haus und seine Innenräume mit frischer Luft versorgt waren. Dies galt als zwingend nötige Voraussetzung zur Verhinderung von Ansteckungen. Das Innere des Krankenhauses war durch Fenster lichterfüllt und es war an das stiftungseigene Frischwassersystem angebunden.
Im Alltag der Stiftungen, die im 18. Jahrhundert als »Anstalten« bezeichnet wurden, wurde hoher Wert auf das Einhalten von hygienischen Standards gelegt.
Doch die Grundlage war ein ganz anderen Wissens als heute: Viren und Bakterien waren noch nicht entdeckt. Vor allem frische, geruchslose Luft war essentiell zur Krankheitsvermeidung. Die Verwendung von sauberem Quellwasser statt verunreinigtem Flusswasser bekam zunehmend Bedeutung.
Nach dem medizinischen Verständnis der Antike standen Körper und Seele in enger Wechselwirkung zueinander. Um Krankheiten zu kurieren, betrachteten die Ärzte deshalb sowohl die Lebensweise des Patienten als auch dessen Temperament (z.B. cholerisch oder phlegmatisch). Deren Zusammenwirken bestimmte das Gleichgewicht der vier Säfte im Menschen: schwarze und gelbe Galle, Schleim und Blut. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führte zu Krankheiten und musste reguliert werden, bei zu viel Blut beispielsweise mittels Schröpfens.
Diese Ansicht wurde erst durch die Arbeiten des französischen Philosophen René Descartes (1596–1650) grundlegend infrage gestellt. Auf ihn geht unsere heutige Auffassung von einer Trennung, einem Dualismus von Körper und Geist im Menschen zurück. Descartes Gedanken führten in der Medizin zu einer Fokussierung auf die reine Funktionalität des menschlichen Körpers. Die Seele spielte für dieses mechanistische Medizinverständnis keine Rolle mehr.
Die pietistischen Mediziner um Christian Friedrich Richter (1676–1711) wandten sich gegen diese Auffassung, wobei sie auf die Lehre des Hallenser Arztes Georg Ernst Stahl (1659–1734) aufbauten.
Der niederländische Mediziner Boerhaave gehörte zu den berühmtesten Ärzten seiner Zeit. Er beschrieb als erster das nach ihm benannte Boerhaave-Syndrom, den Riss der Speiseröhre bei zu heftigem Erbrechen oder Husten. 1727 entdeckte er den Harnstoff im Urin.
Als Professor für Botanik entwickelte Boerhaave den Botanischen Garten der Universität Leiden entscheidend weiter und führte als Leiter des universitären Krankenhauses den praktischen Unterricht der Studenten am Krankenbett ein. Während seiner Lehrzeit war Leiden das Zentrum der mechanistischen Medizin, die den Körper äquivalent zur Mechanik eines Uhrwerks betrachtete, wobei der Seele keine Bedeutung zukam. Dieser medizinische Ansatz unterschied sich fundamental von dem der Pietisten, dennoch schätzten auch Francke und seine Mitstreiter den niederländischen Gelehrten.
Christian Friedrich Richters (1676–1711) über 1.000 Seiten umfassendes Hauptwerk Die höchst-nöthige Erkenntniß des Menschen erläutert das pietistische Medizinverständnis in aller Deutlichkeit. Hier erklärt er den Zusammenhang zwischen der ungestörten Verbindung der menschlichen Seele mit Gott und der Gesundheit des Körpers.
Für Richter bestand ein unmittelbarer, unauflöslicher Zusammenhang zwischen Körper und Seele. War diese Verbindung durch Affekte oder sündhaftes Verhalten gestört, wurde der Mensch krank. Die Annahme, dass nur die Aussöhnung mit Gott zu wahrer Heilung und Gesundung führe, ist die Basis des von Richter gesammelten medizinischen Wissens zu den verschiedensten Krankheiten, Symptomen und Behandlungen.
Die Publikation auf Deutsch steigerte den Nutzen für die Bevölkerung ungemein und führte zu einer Popularisierung medizinischen Wissens.
Dies war durchaus im Interesse Richters, der mit seinem Werk dem Menschen die Möglichkeit an die Hand geben wollte, sich in Notsituationen auch selbst behandeln zu können. Es befähigte aber auch dazu, die Behandlung durch einen Arzt zu beurteilen. Das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mindestens 18-mal wiederaufgelegte Werk sorgte somit nicht nur für eine allgemeine Verbreitung medizinischen Wissens, sondern beförderte zugleich die Mündigkeit der Patientinnen und Patienten.
Im mechanistischen Medizinverständnis wurden die inneren Organe des Menschen wie die Zahnräder einer Maschine angesehen, die ineinandergriffen.
Die Etablierung dieser Vorstellung korrelierte zeitlich mit der zunehmenden Produktion mechanischer Modelle zu Konstruktions-, Repräsentations- und Lehrzwecken. Im Denken der durch Boerhaave geprägten Ärzte stellten Krankheiten Störungen dar, die das Ineinandergreifen des körperlichen Mechanismus verhinderten. Ziel der Heilung war es deshalb, diese als physisch-mechanisch angesehene Störung zu beheben. Die Seele spielte in diesen Betrachtungen und den damit verbundenen Behandlungsmethoden keine Rolle. Demgegenüber verstanden die pietistischen Mediziner die Seele als Schlüssel zum Verständnis des Lebens und zur Heilung und Genesung. Die »Maschine« Mensch bedurfte ihrer Ansicht nach der Seele als Zweck und Begründung des Lebens. Die pietistische Höherbewertung der Seele führte zur Suche nach den Ursachen von Krankheiten in ebendieser.
Die Einheit von Körper und Seele sowie eine christliche Lebensführung waren die zentralen Koordinaten in der Medizin der Pietisten. Sich gesund zu erhalten war eine fundamentale Pflicht. Die Seele, schrieb der pietistische Arzt Christian Friedrich Richter, sei »ein Strom lebendigen Wassers«. Voll göttlicher Weisheit fließe sie durch den menschlichen Körper, der ihr ein Wohnhaus und nützliches Werkzeug sei. Ohne Seele gäbe es kein Leben im Körper und keine Verbindung des Menschen zu Gott.
Verbunden sind Körper und Seele durch das Gemüt, das eine Schnittstelle zwischen der Außenwelt und dem Inneren des Menschen ist. Es ist ein Tor der Sinne. Beeinflusst wird es durch die Affekte. Das sind innere Reaktionen auf Reize von außen, die durch Gestik und Körperregungen wie erhöhtem Puls sichtbar werden. Für die Pietisten konnten neben spontanen Affekten wie dem Schrecken negative Gemütsbewegungen wie Zorn oder Gier Krankheitsursachen sein. Das galt aber auch für übersteigerte positive Gefühlslagen wie Liebe und Freude. Die Erhaltung der Gemütsruhe war in der pietistischen Medizin deshalb zentrale Grundlage für die Gesundheit.
Diätetische Empfehlungen für eine gute, ausbalancierte Lebensführung gelten neben dem ausgeglichenen Gemütshaushalt ausgewogener Ernährung und generellem Maßhalten. Im Alltag und im Unterricht der Franckeschen Stiftungen wurden die diätetischen Lehren praktisch veranschaulicht; man lehrte Botanik sowie Anatomie und hielt in den »Recreationsstunden« zur maßvollen und gesunden Bewegung an.
Einmal pro Woche wurde in den Franckeschen Stiftungen im Unterricht gedrechselt. Maß- und sinnvolle Bewegungseinheiten, bei denen nebenbei auch das praktische Lernen nicht zu kurz kommen sollte, bildeten einen wesentlichen Bestandteil des Stundenplans.
Die Notwendigkeit der körperlichen Bewegung für die Gesundheit wurde auch in den Franckeschen Stiftungen betont. August Hermann Francke schrieb, dass »die Kinder, welche studieren, haben wol nöthig um das Gemüth zu ermuntern, sich mit herbatim gehen zu exercieren, die übrigen, so nicht studieren, können im Hofe ihre motion haben«. Die »Motion« gehörte daher im 18. Jahrhundert als Unterrichtsfach zum Schulalltag in den Stiftungen. Auf dem Motionsplatz waren bestimmte Spiele, wie z.B. das Volantenspiel (eine frühe Form des Federballs), erlaubt. In den sogenannten Recreationsstunden sollten die Schüler etwas lernen, während sie sich in sinnvollem Maße bewegten und entspannten. Grundsätzlich war man jedoch der Meinung, die Müßigkeit sei aller Laster Anfang; empfohlen wurden daher nützliche Arbeiten in Bewegung, wie z.B. das Drechseln an der Drechselbank, das ebenfalls Bestandteil des Stundenplans am Pädagogium Regium war.
Ein an der Gicht leidender Mann sitzt an reich gedeckter Tafel und lässt es sich gutgehen. Auf dem Tisch steht ein saftiger Braten und eine recht alkohol-lastige Einkaufsliste liegt auf dem Boden. Was würden die Pietisten dazu sagen?
Die Versorgung mit frischem Wasser war zu allen Zeiten eine notwendige Bedingung für Leben und Überleben der Menschen. Neben dem direkten Konsum wurde es sowohl für die Nahrungsmittelherstellung als auch für die Reinigung des Körpers und der Kleidung benötigt. Um 1700 war eine geregelte Wasserversorgung die Ausnahme. Dies galt sowohl für die Stadt Halle als auch für die Schulanstalten August Hermann Franckes, die das benötigte Wasser zunächst aus der bereits damals mit Schadstoffen belasteten Saale bezogen. Ab 1717 wurde über Jahre hinweg ein Versorgungssystem aufgebaut, das frisches Quellwasser in die Anstalten leitete.
Über drei Meter lange Baumstämme, innen ausgehöhlt, dienten als Röhren für die Wasserversorgung der Anstalten. Die Konstruktion und Unterhaltung der Frischwasserversorgung war technisch anspruchsvoll und zugleich bedeutete sie harte körperliche Arbeit.
Bereits seit der Antike waren auch Röhren aus Ton oder Blei bekannt, doch bildeten Holzröhren eine kostengünstigere und einfacher zu wartende und zu ersetzende Alternative. Die Röhren waren entweder durch Muffen oder mittels Verbindungselementen aus Messing verbunden. Eine dendrochronologische Untersuchung des in der Ausstellung gezeigten Wasserrohrs ergab als Jahr der Fällung des Baums 1782. Der Baum selbst, eine Kiefer, wuchs der Untersuchung zufolge am Waldrand. Den Aufzeichnungen im Archiv der Franckeschen Stiftungen ist zu entnehmen, dass die zur Verwendung als Röhren gedachten Holzstämme über Flüsse transportiert wurden. Unser Exemplar wurde in Sachsen geschlagen.
Für die Fertigung der hölzernen Wasserleitungen kamen Handbohrer zum Einsatz. Das durchgeleitete Quellwasser führte oft kleinere Mengen an Sedimenten mit sich und das Holz der Stämme faulte im Lauf der Zeit und löste sich ab. Dies machte eine ständige Wartung der Röhren notwendig, wobei insbesondere die Reinigung der Röhren im Mittelpunkt stand. Hierfür wurden Werkzeuge zum Durchstoßen und Lösen der Ablagerungen verwendet.
Sauberkeit war in den von August Hermann Francke begründeten Schulanstalten ein wesentliches Thema, das sich nicht auf die Reinlichkeit der Personen und ihrer Kleidung beschränkte.
Die Einrichtung zur Reinigung des zentralen Verkehrsweges des Waisenhauskomplexes macht dies sehr deutlich.
Wie dieser Plan zeigt, wurde dafür Wasser aus einem in der Nähe befindlichen Teich (C) genutzt, das mittels einer unterirdischen Röhre in den oberen sogenannten Schwarzen Weg geleitet wurde (heute etwa dort, wo sich das Mehrgenerationenhaus befindet). Die Röhre war mit einem Spund verschlossen, zu dem man über einen Holzkasten (F) gelangen konnte. Wurde der Spund entfernt, ergoss sich das Wasser aus dem Auslass (G) in den Schwarzen Weg. Hierbei wurde das natürliche Ost-West Gefälle der Stiftungen genutzt. Die notwendige Voraussetzung für das Gelingen dieser cleveren Straßenreinigung stellte jedoch die Pflasterung des Wegs dar. Derart ausgebaute Wege waren in der Frühen Neuzeit nicht der Standard, boten jedoch neben der leichteren Reinigung den Vorteil, dass sich Matsch und Fäkalien nicht so einfach ansammelten und dann über die Schuhe in die Gebäude getragen wurden. Die Pflasterung und Reinigung der Wege in den Glauchaschen Anstalten dienten somit der Verbesserung der Hygiene und damit der Vermeidung von Krankheiten.
Das Medizinverständnis der Halleschen Pietisten sollte nicht Theorie bleiben: Sie traten mit dem Anspruch an, die Gesellschaft zu reformieren. Dies konnte nur gelingen, wenn die Menschen gesund, d.h. fromm und handlungsfähig waren. Die entsprechende Versorgung der vielen Jungen und Mädchen in den Schulen und im Waisenhaus musste deshalb garantiert sein.
Die Franckeschen Stiftungen waren im 18. Jahrhundert eine bemerkenswerte ganzheitliche Gesundheitstopographie: Es gab Versorgungseinrichtungen wie die Meierei, das Back- und Brauhaus, Küchen und Speisesäle; es gab Krankenstuben in den Schulen und Internaten der Latina und des Königlichen Pädagogiums für bürgerliche und adlige Kinder sowie an der Mädchenschule; es gab ein ingenieurtechnisch anspruchsvolles Wasserversorgungssystem, Einrichtungen zur Hygiene wie ein Waschhaus und Latrinen; es gab Labore zur Herstellung der nötigen Arzneien sowie schließlich seit 1708 ein eigenes Krankenhaus, an das ein kleines »Tollhaus« für geistig leidende Menschen angegliedert war.
Die Lage und Einrichtung des ersten Kinderkrankenhauses antizipierten grundlegende Anforderungen an moderne Krankenhäuser, wie sie seit Ende des 18. Jahrhunderts formuliert wurden.
Im Erdgeschoss bewohnte der Aufseher des Krankenhauses einen Raum. Hier befand sich auch der Speiseraum für die nicht bettlägerigen jungen Kranken. Das Gebäude war nah genug am Gebäudeensemble der Stiftungen, um mit diesem eine architektonische und funktionale Einheit zu bilden. Die erkrankten Kinder blieben so trotz vorübergehender Absonderung zu ihrer Pflege und zum Schutz der Gesunden Teil der Gemeinschaft. Das Haus war umgeben von frischer, sauberer Luft, sein Inneres war durch Fenster lichterfüllt und es war an das Frischwassersystem angebunden.
Das Krankenhaus wurde 1723 mit Baukosten in Höhe von 2.447 Talern fertiggestellt. Die jungen Kranken waren in den vier Räumen des Obergeschosses (IIte Etage) und den beiden des Dachgeschosses (IIIte Etage) untergebracht. Alle Stuben waren mit Hinterladeröfen beheizbar, die vom Flur aus befeuert wurden, was Ruß aus den Krankenzimmern fernhielt.
Grundlage der medizinischen Organisation der Franckeschen Stiftungen war eine Vielfalt fortschrittlicher hygienischer Maßnahmen, die Krankheiten vermeiden sollten. An der Spitze der Organisation stand der Medicus Ordinarius, der »ordentliche« (= angestellte) Arzt. Dieser wurde von regelmäßigen Beiträgen, die die auswärtigen Schüler zahlten, unterhalten: eine frühe Form der Krankenkasse! Er führte auch chirurgische Eingriffe durch, die ansonsten von handwerklich ausgebildeten Chirurgen vorgenommen wurden.
Der berühmte Praxisunterricht für Medizinstudenten, den der Waisenhausarzt Johann Juncker (1679–1759) einführte, fand in der Armensprechstunde im Waisenhaus statt. Hier wurden monatlich ca. 1.000 Kranke kostenfrei behandelt und mit Medikamenten des Waisenhauses versorgt.
Die pietistische Medizin hatte eine weltweite Resonanz hinsichtlich ihrer Konzepte und Medikamente. Von den Stiftungen ausgesandte Ärzte arbeiteten an den Wirkungsorten der hallischen Missionare in Indien.
An der Medizinischen Fakultät der hallischen Friedrichs-Universität trieben Schüler von Georg Ernst Stahl und Friedrich Hoffmann die Forschung weiter voran, z.B. in der Gerichtsmedizin und der Geburtshilfe.
Diese Statuette stammt aus der Kunst- und Naturalienkammer des Leipziger Apothekers Johann Heinrich Linck d. Ä. (1674–1734). Sie ist die bislang einzig bekannte Holzanatomie ihrer Art.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein leisteten ausschließlich Hebammen Geburtshilfe. Diese hatten keine formelle Ausbildung und gaben ihr Wissen nur mündlich weiter.
In Deutschland wurden Frauenheilkunde und Geburtshilfe als Lehrfach innerhalb des medizinischen Studiums integriert, so 1741 an der Universität Halle, wo Philipp Adolph Böhmer (1711–1789) Kurse in der Geburtshilfe anbot. 1746 gab er ein Handbuch der Geburtshilfe des englischen Arztes Richard Manningham auf Latein heraus, in dem erstmals der Einsatz einer Geburtszange bei Komplikationen propagiert wurde. In der Folge blieb die Geburtshilfe an der Universität Halle jedoch nur ein Teilfach der Chirurgie.
Dies änderte sich im Jahr 1808, als eine Frauenklinik, verbunden mit einem Gebärhaus, eröffnet wurde. Zu deren Direktor wurde der erfahrene hallische Arzt und Geburtshelfer Carl Friedrich Senff (1776–1816) berufen, der als Schüler das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen besucht hatte. Senff engagierte sich auch in der Ausbildung von Hebammen und lehrte in der dem Gebärhaus angeschlossenen Entbindungsschule, in der auch Hebammen ausgebildet wurden. Dafür verfasste er ein spezielles Lehrbuch, aus dem der Kupferstich rechts stammt. Nachweislich war Senff beim zweiten Kaiserschnitt in Halle beteiligt.
Johann Juncker war der bedeutendste Arzt, der im 18. Jahrhundert in den Franckeschen Stiftungen gewirkt hat. Zudem hat er eine außergewöhnliche Biographie aufzuweisen.
Juncker wurde als fünftes von 12 Kindern in einem hessischen Dorf in eine arme Familie hineingeboren. Wohl wegen seiner Begabung durfte er eine Oberschule in Gießen besuchen und ab 1697 studierte er u. a. bei August Hermann Francke Theologie in Halle, der ihn auch als Lehrer an seinem Pädagogium einstellte. Jedoch kehrte er nach kurzer Zeit nach Hessen zurück, um dort als Lehrer zu arbeiten. Nebenbei eignete er sich im Selbststudium medizinische Kenntnisse an und praktizierte als Arzt. 1707 heiratete er die 12 Jahre ältere Gräfin Charlotte Sophie von Waldeck und Pyrmont – eine erstaunliche Eheschließung angesichts der sozialen Kluft zwischen den beiden Eheleuten.
1716 holte ihn Francke nach Halle zurück und er wurde – ohne Medizin studiert zu haben! – Medicus Ordinarius der Franckeschen Stiftungen. Er organisierte nicht nur das Medizinalwesen in den Stiftungen und sorgte für den Bau des Krankenhauses, sondern führte auch eine regelmäßige Armensprechstunde ein. Dabei bezog er Medizinstudenten mit ein, die so Erfahrungen in der medizinischen Praxis sammeln konnten.
Die hallische Universität promovierte ihn 1717 zum Doktor der Medizin, 1729 erhielt er eine Professur. Er verfasste Lehrbücher zu diversen Bereichen der Medizin und Chemie, die weite Verbreitung fanden und mehrfach nachgedruckt wurden. Sein sozialer Aufstieg vom armen Dorfjungen zum Medizinprofessor und zum preußischen Hofrat zeugt davon, dass im 18. Jahrhundert zumindest begabten Jungen vereinzelt der soziale Aufstieg durch Bildung möglich war.
Zu den bedeutendsten Wegbereitern der Gerichtsmedizin als juristisch relevanter Teildisziplin gehört der an der hallischen Universität lehrende pietistische Mediziner Michael Alberti (1682–1757).
Seine Commentatio in constitutionem criminalem Carolinam medica von 1739 zeigt an verschiedenen Beispielen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Medizin in juristischen Prozessen auf.
Die hier abgebildete Darstellung ist der Titelkupfer von Albertis Werk. Gestochen wurde es von dem Künstler Gottfried August Gründler (1710–1775), der auch für die Gestaltung und Einrichtung der Kunst- und Naturalienkammer des Halleschen Waisenhauses verantwortlich war. Es handelt sich um eine Allegorie auf das Zusammenwirken der Disziplinen der Rechtswissenschaft und der Medizin.
Medikamente nach alchemistischen Rezepturen stellten im 18. Jahrhundert einen wesentlichen Bestandteil des Arzneischatzes dar. Am Halleschen Waisenhaus gab es zu dieser Zeit zwei pharmazeutische Einrichtungen: die Waisenhaus-Apotheke und die Medikamenten-Expedition. In den Laboren letzterer wurden in großem Maßstab hauseigene Präparate produziert, die nicht nur in der Waisenhaus-Apotheke verkauft, sondern auch weltweit bis nach Indien und Nordamerika verschifft wurden. Neben den alchemistischen Herstellungsvorschriften für viele dieser Mittel wurden im Waisenhaus sogar Manuskripte aufbewahrt, die zum »Stein der Weisen« führen sollten.
Für die aufwändigen alchemistischen Laborprozesse wurden vielfältige Öfen und Gerätschaften benötigt. Mittels Destillation, Extraktion und weiterer Verfahren erhielt man Präparate, die eine ›geistige‹ Wirkung im Körper der Patientinnen und Patienten entfalten sollten – im Gegensatz zur heute angenommenen rein materiellen Wirkung.
Unser heutiges Bild der Alchemisten beschränkt sich häufig auf die Figur des älteren Büchergelehrten inmitten einer mystisch verklärten, dunklen Laboratoriumskulisse. Doch die Alchemiegeschichte wurde ebenso von jüngeren Personen und Frauen geprägt.
Das Labormodell aus der Modellsammlung der Kunst- und Naturalienkammer führt noch heute wichtige Voraussetzungen der alchemistischen Arbeit vor Augen, die auch für die Produktion von Arzneimitteln nach chemischen Verfahren grundlegend waren.
Das Modell zeigt ein Laboratoriumsgebäude mit Tonnendach, in dessen Mitte sich ein großer Abzug befindet. Durch diesen konnte der Rauch entweichen, den die Öfen im Innern produzierten. Für die Laborprozesse spielte Erhitzung eine wichtige Rolle. Die Miniaturöfen des Modells stellen deshalb verschiedene Ofentypen aus Backsteinen, Lehm und Eisen dar. Unter ihnen befinden sich Destillieröfen mit Einsätzen für Sand- und Wasserbäder sowie ein sogenannter Windofen mit Schornstein. Mit unterschiedlichen Öfen konnte man verschiedene Hitzegrade erreichen. Die Öfen bestanden aus einem Arbeits-, Feuer- und Aschenraum, die teilweise ineinander übergingen. Brennmaterialien waren Holz oder Holzkohle.
Die Pharmazeuten am Halleschen Waisenhaus erarbeiteten im 18. Jahrhundert in Laboratorien hauseigene Medikamente, die auf alchemistischen Rezepturen basierten. Ein Beispiel ist die berühmte Goldtinktur Essentia Dulcis.
Der Kupferstich zeigt eine junge Alchemistin in ihrem Laboratorium. Das Frontispiz aus der Schrift Die Mitleidende und Leichte Chemie (1673) verdeutlicht, dass auch weibliche Personen in der Frühen Neuzeit auf alchemistischem Gebiet tätig waren.
Über ihre Existenz wird schon seit Jahrtausenden debattiert, zahlreiche KünstlerInnen versuchten sich an ihrer Darstellung, aber niemand hat sie je gesehen – die Seele. Oft ist es der Tod, der den Anlass für die künstlerische Auseinandersetzung mit ihr liefert. So ist es kaum verwunderlich, dass sich im Kontext der Totengedächtnismale entsprechende Beispiele finden.
Epitaphe sind ein besonderer Typ des Totengedächtnismals, die neben allegorischer und bildlicher Darstellung des oder der Toten über eine Inschrift zur verstorbenen Person verfügen. Sie können auch unabhängig vom Grabmal als Denkmal fungieren.
Das Medaillon aus dem Jahr 1743 war ehemals Teil des Epitaphs am Grab Johanna Henriette Franckes, geb. Rachals (1697–1743), der ersten Ehefrau Gotthilf August Franckes, auf dem Stadtgottesacker. Das von unbekannter Hand gestaltete Werk greift mit der Darstellung eines Skeletts, das einen Vogel aus einem Käfig entlässt, auf etablierte allegorische Motive zurück. Das Bildrepertoire lädt auch heute noch dazu ein, über die Frage nach der Seele nachzudenken.