»Gott erbarme sich der bedrängten Böhmen«
300 Jahre Böhmischer Bibeldruck in Halle
Ausstellung
300 Jahre Böhmischer Bibeldruck in Halle
Ausstellung
2022 jährt sich der Druck der böhmischen Bibel in Halle zum dreihundertsten Mal. August Hermann Franckes Anliegen war es, die unterdrückten Lutheraner in den Habsburgischen Ländern zu stärken und die aus ihrer Heimat vertriebenen protestantischen Glaubensbrüder im Exil zu unterstützen. Die Ausstellung gibt einen Einblick in die Beziehungen des Halleschen Waisenhauses zu den böhmischen Glaubensminderheiten und stellt Beispiele der für sie bestimmten Drucke vor. Sie knüpft an ein weiteres Bibeljubiläum in Sachsen-Anhalt an, dem Erscheinen des Septembertestaments in der Übersetzung Martin Luthers vor 500 Jahren.
Die Verfolgung der Lutheraner in Böhmen
Aufgrund ihres Bekenntnisses zur Augsburger Konfession und in Folge der Rekatholisierung Böhmens nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 mussten viele Nichtkatholiken ihre Heimat verlassen. Die Glaubensflüchtlinge, die um 1700 überwiegend in Sachsen und Preußen aufgenommen wurden, fanden in August Hermann Francke (1663–1727) einen verständnisvollen Ratgeber und Helfer. Vor allem wollte er die Exulanten, aber auch die in Böhmen, Mähren, Teilen Ungarns und Schlesiens verbliebenen Protestanten mit Büchern in ihrer Muttersprache versorgen.
Heinrich Milde
Unter Franckes Mitarbeiter Heinrich Milde (1676–1739) entwickelte sich Halle zu einem wichtigen Verlagsort für tschechische protestantische Drucke. Milde hatte durch böhmische Studenten das Tschechische erlernt, war aber auch ein Kenner anderer slawischer Sprachen. Unter seiner Leitung erschienen zunächst tschechische Übersetzungen von Johann Arndts Fünf Bücher vom wahren Christentum und Franckes Der heilige und sichere Glaubensweg eines evangelischen Christen. Insgesamt wurden zwischen 1718 und 1724 mit Mildes Hilfe mehr als 39.000 tschechische Traktate in Halle gedruckt. Nach Mildes Tod im Jahr 1739 hinterließ er seine etwa 400 Bände umfassende Büchersammlung der Bibliothek des Halleschen Waisenhauses, darunter zahlreiche tschechische Drucke.
Der böhmische Bibeldruck
Bereits im Jahr 1709 gab der aus Ungarn stammende Mátyás Bél (1784–1749) in Halle das tschechischsprachige Neue Testament heraus. Den Höhepunkt der Verlagstätigkeit Mildes bildete die Drucklegung der tschechischen Bibel im Jahr 1722. Sie wurde mit finanzieller Unterstützung des Grafen Erdmann Heinrich Henckel zu Donnersmarck (1681–1751) nach dem Vorbild der Kralitzer Bibel aus dem Jahr 1613 mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren hergestellt. Die mit einem Vorwort von Bél versehenen Bibeln wurden heimlich in Mähren und Böhmen verbreitet und gelangten sogar bis ins Baltikum und nach Russland.
Der Mitarbeiterkreis
Schon vor dem Auftreten Mildes hatte sich in Halle auf Anregung Franckes ein Arbeitskreis von jungen Theologiestudenten aus Böhmen und der Slowakei gebildet, die die ersten tschechischen Übersetzungen christlicher Literatur zum Druck vorbereiteten. Zu ihnen gehörten Mátyás Bél und Samuel Ondrejček, genannt Pellionis (1682–1736). Auch Milde wurde von sprachkundigen Studenten und Mitarbeitern am Halleschen Waisenhaus bei seiner Übersetzungstätigkeit unterstützt. Nach der Rückkehr in ihre Heimat förderten diese Tschechen und Slowaken weiterhin die Herausgabe böhmischer Drucke in Halle und sorgten für deren Verteilung unter der protestantischen Bevölkerung.
Digitalisierung tschechischsprachiger Drucke
Aus Anlass des 300. Jubiläums des Drucks der böhmischen Bibel wurden in einem vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Projekt des Studienzentrums der Franckeschen Stiftungen 65 tschechische Bücher digitalisiert, die in Halle erschienen sind oder aus Mildes Privatbibliothek stammen.