Im Steinbruch der Zeit. Erdgeschichten und die Anfänge der Geologie
Online-Ausstellung zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2020
Online-Ausstellung zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen 2020
Warum gibt es eine Ausstellung zur Frühgeschichte der Geologie in den Franckeschen Stiftungen? Dies hat zwei Gründe.
Zum einen gibt es in der barocken Wunderkammer einen Schrank mit Mineralien – und solche Mineralienschränke gehörten damals in jede dieser Sammlungen, weil die Steine, die sogenannte ›Unbelebte Natur‹, auch als ein bedeutender Teil der Natur angesehen wurde. Deshalb soll die Ausstellung der Frage nachgehen, welche Bedeutung Steine und Mineralien für die Wissenschafts- und Sammlungskultur der Frühen Neuzeit hatten.
Zum anderen hat der bekannte hallesche Geologe Christian Keferstein (1784–1866) sein Archiv, seine Bibliothek und seine Sammlung geologischer Karten den Franckeschen Stiftungen geschenkt. Diese Sammlung wurde jetzt im Studienzentrum der Franckeschen Stiftungen digitalisiert und wird im Rahmen dieser Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Online-Ausstellung erzählt die Frühgeschichte der Geologie, als die naturkundlichen Gelehrten immer mehr in den »Steinbruch der Zeit« hineingerieten und ihnen klar wurde, dass die Erde ein damals unvorstellbares Alter haben müsse. Genau bestimmen konnten sie es zu jener Zeit jedoch nicht. Heute können wir durch einen schnellen Blick ins Internet herausbekommen, dass unsere Erde 4,55 Milliarden Jahre alt ist. Bei der Ermittlung dieses Alters greifen die Geowissenschaftler auf modernste Technik zurück, mit der sich der radioaktive Zerfall von Uran messen und so das Alter von Meteoriten oder Steinen bestimmen lässt. Die Forscher des 18. Jahrhunderts hatten nur ihre Rationalität und Phantasie. Herausgekommen sind dabei zahlreiche uns heute skurril erscheinende »Erdgeschichten«.
Steigen Sie hinab in den »Steinbruch der Zeit« und sehen Sie die frühneuzeitlichen Geologen entdecken in Naturkunde, Bergbau und Alchemie, sammeln und ordnen, glauben an die Schöpfungsgeschichte und diesen Glauben an der Natur messen, erforschen, messen und berechnen, verstehen, was ihre Entdeckungen bedeuten. Wir entlassen die BesucherInnen mit einem Denkimpuls zum Gesicht der Erde, das im Anthropozän erstmals die Menschen dauerhaft verändern.
Schauen Sie mit Tom Gärtig, dem Kurator der Ausstellung, zunächst hinter die Kulissen: Wie konnte Kefersteins Kartennachlass gerettet werden?
Für alle, die Podcasts lieben, haben wir den Hörrundgang online veröffentlicht und geben Dominik Eulberg das Wort, der die »Erdsounds« für den ersten und letzten Raum der Ausstellung kreiert hat. Die eigens für die Jahresausstellung entstandenen Sounds stellen wir in voller Länge zur Verfügung.
Einen Überblick über die gesamte Ausstellung geben Ihnen die Kuratoren in ihrem zweiteiligen Rundgang:
Im christlichen Mittelalter glaubten die Menschen, die von Gott erschaffene Erde sei von Anfang an vollkommen gewesen und habe sich – abgesehen von den Verwüstungen, die die biblische Sintflut einst angerichtet habe – seitdem nicht verändert. Über das Alter der Erde dachte man nicht nach – es galt die Chronologie der Bibel: Gott hat die Erde in sechs Tagen erschaffen.
Zwar war die Bibel der Maßstab christlichen Wissens, aber man wollte auch durch Naturbeobachtung, durch das ›Lesen im Buch der Natur‹, die von Gott eingerichtete Vollkommenheit der Welt erfahren. Die ersten mittelalterlichen Naturstudien orientierten sich am überlieferten Wissen der Antike. Sie sollten die Allmacht Gottes vor Augen führen und behielten bis in die Frühen Neuzeit ihre Gültigkeit. Die naturkundlich Gelehrten waren nun zudem bestrebt, das Alter der Erde zu bestimmen. Als Grundlage für ihre Berechnungen dienten die Angaben in den biblischen Schriften, weniger die geologischen Indizien.
Der Jesuitenpater Athanasius Kircher (1602–1680) war einer der bekanntesten Gelehrten seiner Zeit. In seinem Werk Die unterirdische Welt spekuliert er über das Erdinnere. Nach seiner Vorstellung besaß der Erdkörper wasser- und feuergefüllte Eingeweide. Ihm ging es nicht um eine Theorie der Erdentstehung, sondern um eine Beschreibung der Erde als wundervolle Schöpfung Gottes.
Erste geologische Erkenntnisse publizierte um 1670 der Däne Niels Stensen (1638–1686), lateinisch Nicolaus Steno. Auf Wanderungen in der Toskana hatte er erkannt, dass Erde und Gesteine über weite Entfernungen hinweg in analoger Reihenfolge geschichtet sind. Zur Erklärung dessen stellte er das sogenannte Lagerungsgesetz auf: Ältere Schichten liegen unten, jüngere oben – eines der Grundprinzipien der Geologie.
Außerdem erkannte er in Fossilien versteinerte Lebewesen. Bei der Sektion eines Hais entdeckte er, dass es sich bei den sogenannten Zungensteinen, die im Mittelmeerraum häufig in bestimmten Sedimentschichten aufzufinden sind, um versteinerte Haifischzähne handelte. Daraus folgerte er, dass diese Schichten einmal mit Wasser bedeckt gewesen sein mussten.
Weitere Impulse, sich mit geologischen Phänomenen auseinanderzusetzen, gab der Bergbau. Schon seit vorgeschichtlicher Zeit gewannen die Menschen aus der oberen Erdkruste Salz oder Metalle, vor allem Silber-, Kupfer-, Eisen-, Blei- und Zinnerze. Seit der Antike wurden Erze unterirdisch abgebaut, um daraus vor allem Metalle zu gewinnen. Deren große Bedeutung für die Wirtschaft und Gesellschaft führte seit dem Mittelalter zu einer Ausweitung des Bergbaus und zu technischen Innovationen. Georg Agricola (1494–1555) war es, der um 1550 mit seinen Schriften den Bergbau erstmals auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte.
Der Arzt Agricola fasste das bergbauliche Wissen seiner Zeit in seinen 12 Büchern vom Bergwerck zusammen. Neben den Techniken des Bergbaus beschrieb er systematisch die Mineralien sowie deren Verbreitung und Nutzen und die Geologie von Lagerstätten. Er stellte dar, wie und mit welchen Techniken Erze im Erdboden aufgespürt und abgebaut werden können. Auch dachte er darüber nach, wie die Stoffe im Inneren der Erde entstehen und suchte nach Erklärungen dafür, warum und wie einige dieser Metalle und Mineralien auf natürlichem Wege an die Erdoberfläche gelangen konnten. Die Bände erschienen zuerst auf Latein und wurden in kurzer Zeit in zahlreiche andere Sprachen übersetzt, so 1557 ins Deutsche. Über zwei Jahrhunderte hinweg blieb es das Standardwerk zur Bergbau- und Hüttentechnik.
Im Widmungsbrief gibt Agricola eine kurze Inhaltsangabe der Bücher:
»D[as] erste[ ] [Buch] enthält das, was gegen diese Kunst und gegen die Bergwerke und Bergleute […] gesagt werden kann. Das zweite entwirft ein Bild des Bergmannes und geht über zu den Erörterungen, wie man sie gewöhnlich über die Auffindung der Erzgänge anstellt. Das dritte handelt von den Gängen, Klüften und Gesteinsschichten. Das vierte entwickelt das Verfahren des Vermessens der Lagerstätten und legt auch die Ämter der Bergleute dar. Das fünfte lehrt den Aufschluss der Lagerstätten und die Kunst des Markscheidens. Das sechste beschreibt die Werkzeuge, Geräte und Erze. Das siebente handelt vom Probieren der Erze. Das achte gibt Vorschriften über die Arbeit des Röstens, des Pochens, des Waschens und des Dörrens. Das neunte entwickelt Verfahren des Erzschmelzens. Das zehnte unterrichtet die Bergbau Betreibenden darüber, wie man Silber von Gold und Blei von diesem und von Silber scheidet. Das elfte weist die Wege, wie man Silber von Kupfer trennt. Das zwölfte gibt Vorschrift für die Gewinnung von Salz, Soda, Alaun, Vitriol, Schwefel, Bitumen und Glas.«
Einblicke in den Alltag im Bergbau des 16. Jahrhunderts geben die Abbildungen vom Annaberger Bergaltar, von dem Sie eine Kopie in Form eines Bildteppichs sehen. Durch den Silberbergbau wurde das Erzgebirge seit dem Spätmittelalter zu einer der florierendsten Montanregionen in Europa. Davon profitierte auch Annaberg-Buchholz. Nachdem 1491 Silbervorkommen entdeckt worden waren, erhielt der Ort 1497 das Stadtrecht und die Kirche wurde erbaut. Sowohl der Ort als auch die Kirche wurden nach der Schutzpatronin der Bergleute, der Heiligen Anna, benannt.
Mit Steinen beschäftigte sich auch die Alchemie. In der Frühen Neuzeit waren Alchemisten von der Idee überzeugt, dass es eine anima mundi, eine Weltseele, gebe, die jegliches Wachstum und alle Umwandlungsprozesse in der Natur steuere. Aus ihrer Sicht besaßen auch Metalle und andere Stoffe eine eigene Seele. Alle Dinge der Natur, so meinten sie, strebten stets nach Vollkommenheit. Das Innere der »lebendigen Erde« betrachteten sie als eine Art Gebärmutter, als einen Ort ständigen Werdens und Wachsens, in dem die Metalle und Mineralien heranreifen. Die Alchemisten fragten nach den Eigenschaften dieser und waren vor allem an der Aufbereitung und Umwandlung von einfachen Metallen in höherwertige, zum Beispiel in Gold, interessiert. Auch erforschten die Alchemisten die Bedeutung der Steinwelt für die Herstellung von Arzneimitteln. Um aus Metallen, Mineralien oder daraus gewonnen Substanzen Medikamente herstellen zu können, entwickelten Alchemisten wie der Arzt Paracelsus (1493/94–1541) besondere Verfahren. Damit wurde die Alchemie zur Grundlage für die spätere Chemie und Pharmazie.
Jaspis ist ein Quarz, dem seit dem Mittelalter die Gesundheit schützende Eigenschaften beigemessen wurden. So schrieb der Naturforscher Conrad Gessner (1516–1565): »Der Jaspis ist ein Schild vor der Brust, das Schwert in der Hand und die Schlange unter den Füßen. Er schirmt gegen alle Krankheiten und erneuert Geist, Herz und Verstand.«
Der Antimonit, früher Grauspießglanz genannt, wurde als Grundstoff für Medikamente verwendet, die nicht nur äußerlich, z. B. bei bestimmten Krebsgeschwüren, angewandt wurden. Ab dem 16. Jahrhundert galt die Ansicht, dass die Einnahme antimonhaltiger Arzneimittel den menschlichen Körper reinige und verjünge. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verzichtete man aufgrund ihrer großen Giftigkeit mehr und mehr auf diese Arzneimittel.
Auch hier in den Franckeschen Stiftungen wurden um 1700 eine Apotheke gegründet und Medikamente hergestellt, die man zumeist selbst entwickelt hatte. Mehrere handschriftliche Rezeptsammlungen liefern uns heute Einblicke in die Rezepturen, nach denen die hauseigenen Waisenhaus-Medikamente hergestellt wurden. Eine Ausnahme dabei bildet jene des bekennenden Alchemisten Samuel Richter (geb. in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, gest. nach 1722, Pseudonym: Sincerus Renatus). Er gehörte nicht zum Personal der Medikamenten-Expedition, stand jedoch nachweislich mit dem Halleschen Waisenhaus in Kontakt und tauschte sich mit diesem auf pharmazeutisch-alchemistischem Gebiet aus. Bei ihm werden neben Rezepturen, die sich mit dem Lapis Philosophorum, also dem Stein der Weisen, beschäftigen, auch zahlreiche Vorschriften zum ›Verbessern‹ der Metalle (ihrer Umwandlung in jeweils reinere, edlere Metalle wie Silber oder Gold) erwähnt.
Tugenden der Edelsteine.
Der Jaspis macht vom Bluten frey
Des Hyacinthus Gaben besämftigen
die kalte Pest,
Der Amethist hält Nüchtern,
Ein Türckis heilt die Wunden fest,
Saphir dint den Gesichtern, Er
ändert deren Pocken Spur, daß
Sie nicht mehr Zusehen.
Smaragd ist wieder rothe ruhr,
Onis lässt Urin gehen
Dorth steht der Diamant oben an,
dem weichet alle Stärcke, weil
man ihn nicht bezwingen kan durch
Macht der Hände Werke.
Der Ökonom und Alchemist Johann Joachim Becher (1635–1682) behandelt in seinem Werk Natur-Kündigung Der Metallen ausführlich, »[w]ie die Metallen gezeuget/ dann geboren/ und endlich aufferzogen werden.« Das Frontispiz des Bandes gibt einen Eindruck von der Fülle und Komplexität alchemistischer Bildsprache:
In der Krone des Baumes befinden sich die alchemistischen Symbole der sechs Metalle Gold, Silber, Quecksilber, Kupfer, Eisen und Zinn jeweils auf einem sternförmigen Untergrund. Der Zeugungsprozess des siebten Metalls, des Bleis, wird sinnbildlich dargestellt. Der Einbeinige, der in der alchemischen Bildsprache für den Planeten Saturn steht, dem das Blei zugeordnet war, lässt aus einem Gefäß mit dem Symbol für Blei eine die Erde befruchtende Flüssigkeit ausströmen (»ALO« = lateinisch für »ich (er)nähre«). Der Stamm des Baumes trägt die Aufschrift »CONCIPIO« (»ich empfange«). Auf die Krone des Baumes wiederum treffen die Strahlen der Sonne, in welchen das Wort »GIGNO« steht (»ich (er)zeuge«). Die über die Weltseele verbundenen Körper von Himmel und Erde bringen so die Metalle hervor, welche der Bergmann (im Kupferstich rechts, auf einen Spaten gelehnt) fördern und weiter verarbeiten kann (»Elaboro« = ich (be)arbeite), sobald er ihren Reifeprozess abgewartet hat.
In diesem Abschnitt geht es um das Sammeln von Steinen, die wie die Objekte aus den anderen beiden ›Reichen der Natur‹: Flora und Fauna, ein unverzichtbarer Bestandteil der Kunst- und Naturalienkabinette in der Frühen Neuzeit waren. Dabei wurden Steine, weil sie ›unbeseelt‹ und keine Lebewesen waren, als niederste Form der natürlichen Phänomene angesehen. Hingegen wertete man sie als einen anfänglichen Zustand und damit als Grundlage aller belebten Natur. Alle anderen Existenzformen bauten auf ihnen auf und in gewisser Weise blieb das Steinerne in allen höheren Daseinsformen und Wesen der Natur enthalten. Diese Bedeutung für den Kosmos motivierte zum Sammeln von Steinen und zu deren Präsentation in den Naturalienkabinetten.
Einige Sammler fanden eigene Ordnungssysteme und publizierten sie, zum Teil in Katalogen ihrer Sammlungen. Manche dieser Systeme gerieten in Vergessenheit, andere fanden Nachahmer.
Johann Lucas Woltersdorf (1721–1772) war Theologe und eifriger Mineraliensammler. Bezogen auf seine Sammlung entwickelte er ein eigenes Ordnungssystem und publizierte es. Jedoch erlangte dies niemals eine größere wissenschaftliche Bedeutung.
Johann Ernst Immanuel Walch (1725–1778) war Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Jena und interessierte sich für geologische und paläontologische Themen, wozu er auch publizierte. Seine geologische und paläontologische Sammlung, die er in diesem Sammlungskatalog beschreibt, befindet sich heute in den Sammlungen der Jenaer Universität.
In den Sammlungen musste den Steinen ein bestimmter Ort zugewiesen werden, denn der Platz des einzelnen Exponats definierte dessen Bedeutung im Ensemble einer Sammlung –insofern war die Einrichtung von Sammlungsräumen mit ihren Schränken und Regalen immer auch ein Instrument der räumlich organisierten Ordnung des Wissens und der Welt.
Exemplarisch für die Aufbewahrungs- und Präsentationsmöbel von Mineralien jener Zeit steht Mineralienschrank in der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen, der um 1740 gebaut und eingerichtet wurde. Von den Türen verdeckt ist die Ordnungsnummer »1.A«. Umgeben ist der Schrank rechts von den Schränken »2.B« und »3.C«, die Pflanzen präsentieren, sowie links von »4.D« und »5.E«, die Tiere enthalten. So kann man angesichts der Nummerierung sehen, dass die Mineralien als der Anfang bzw. die Grundlage der anderen Phänomene in der Natur angesehen wurden und von diesen, den Pflanzen und Tieren, umgeben sind. Aufgeteilt ist der Schrank in drei Bereiche: unten der Depotbereich mit den Schubladen, in denen die weniger spektakulären Stücke aufbewahrt wurden. Darüber der Präsentationsbereich mit den Glastüren für die spektakuläreren Objekte und oben die kunstvolle Bekrönungsmalerei, die auf den Inhalt des Schrankes hinweist. Aus dem Sammlungskatalog von 1742 wissen wir auch, dass die Mineraliensammlung nach dem System des Schwedischen Biologen Carl von Linné geordnet war. Sein Ordnungssystem für Tiere und Pflanzen ist noch heute gebräuchlich, doch das für Mineralien setzte sich langfristig nicht durch.
Gottlieb Friedrich Mylius (1675–1726) hatte in Halle und Leipzig Jura studiert und arbeitete als Advokat in Leipzig. Er legte – wohl auch motiviert durch die Sammlungen in den Franckeschen Stiftungen – ein bedeutendes Naturalienkabinett an und sammelte dafür systematisch Mineralien aus der sächsischen Region. In seinem Sammlungskatalog zu den Mineralien werden auch die sogenannten Kupferschieferheringe der Mansfelder Region vorgestellt.
In den Bergwerken der Grafschaft Mansfeld wurden massenhaft gut erhaltene versteinerte Fische im Kupferschiefer gefunden. Diese waren in der Frühen Neuzeit beliebte Sammlerobjekte und häufig in Sammlungskatalogen abgebildet. Umgangssprachlich wurden sie als Kupferschieferheringe bezeichnet. Der biologischer Name der inzwischen ausgestorbenen Knochenfische lautet Palaeoniscum freieslebeni.
Die zwei Objekte unten stammen aus anderen Schränken der Kammer, stehen aber in einem Zusammenhang zu Mineralien und dem Bergbau.
Ein sogenannter Handstein ist ein aus Mineralien gefertigtes Kunstobjekt, das ein Bergwerk darstellt. Dem Handstein fehlt die bekrönende Bergmannsfigur oder das abschließende Kreuz. In der oberen Etage befindet sich eine Haspel oder Winde mit Haspelknecht, weitere Knechte sind nur fragmentarisch erhalten. Auf der mittleren Etage befinden sich drei Bergleute bei der Arbeit im Bergwerk, unten baut ein sitzender Bergmann Erz ab, ein Knappe kommt aus einem Stollen, ein anderer bewegt einen Schubkarren.
Auch die Eingerichtflasche zeigt ein Bergwerk. Solche Flaschen wurden von den Bergleuten im Erzgebirge in ihrer Freizeit hergestellt und waren quasi die Vorläufer des Buddelschiffs. Die Montage von Alltagsituationen im Bergbau in solchen Geduldsflaschen betrieben die Bergleute im Erzgebirge und deren Familien an langen Winterabenden. Der Verkauf der Flaschen brachte einen willkommenen Zuverdienst. Die Tracht der hier dargestellten Bergleute ist die des sächsischen Erzgebirges. Die Anfertigung solcher Eingerichte mit Szenen aus dem Bergbau war eine Spezialität der Region.
Die Sammlung Keferstein
1850 schenkte der hallische Geologe Christian Keferstein (1784–1866) seine mineralogische Sammlung den Franckeschen Stiftungen. Sie umfasste mehr als 10.000 Objekte in 19 Sammlungsschränken – die Sammlung befindet sich heute im Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Sammlungsschränke sind verloren. Sie bestand aus zwei Teilbereichen, einer mineralogischen Sammlung, die nach dem System des Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749–1817) geordnet war, und einer geologischen Sammlung, deren Ordnung sich auf die Herkunftsregionen der Stücke bezog.
Das Verhältnis der hallischen Pietisten zur Geologie stand immer im Zusammenhang mit der Physikotheologie, was so viel bedeutet wie »Naturtheologie« und meint, dass die Pietisten zu naturkundlichen und naturwissenschaftlichen Studien ermuntert haben, um zu erkennen, wie vollkommen Gott die Welt eingerichtet habe. Es galt, alle natürlichen physikalischen Phänomene mit der christlichen Lehre zu verknüpfen. Die Erkenntnisse über Gottes Schöpfung wurden jetzt durch Beobachtung, Experiment und die Annahme allgemeiner Naturgesetze gewonnen. Den Erwerb naturkundlichen Wissens betrachteten die Physikotheologen als ihren gottgegebenen Auftrag und eine Form, den Schöpfer zu lobpreisen. Im Zentrum stand dabei die biblische Sintflut als fundamentale Umwälzung der Gestalt und Lebenswelt der Erde. Die richtige Deutung der Sintflut und ihrer Folgen versprach Antworten auf Fragen zur Entstehung von Mineralien, Gesteinen und Fossilien.
Die Sintflut bot auch ein Erklärungsmuster für die versteinerten Tiere und Pflanzen an, die man selbst auf Bergen und weitab von jedem Gewässer fand. Ursprünglich wurden diese Fossilien nicht als Versteinerungen, sondern als Spiele der Natur (lat. lusi naturae) angesehen. Auch das Vorhandensein von Sedimentschichten über dem Meeresspiegel, deren Entstehung durch Wasser schon damals gemutmaßt wurde, konnte so erklärt werden.
Ein Problem der theologisch inspirierten Forschung jener Zeit war jedoch, dass versteinerte Pflanzen- und Tierarten gefunden wurden, die nicht mit Pflanzen- bzw. Tierarten der Gegenwart übereinstimmten. Dass es sich hier um Arten handelt könnte, die ausgestorben waren, war für die Pietisten undenkbar. Nach ihrem Glauben hatte Gott die Welt vollkommen eingerichtet, so dass es keine Veränderung der Arten oder eine Evolution geben konnte. Man behalf sich mit der Annahme, dass diese Arten sehr wohl existierten, doch in weit entfernten Erdregionen und noch unentdeckt.
Johann Jakob Scheuchzer: Kupfer-Bibel in welcher die Physica Sacra oder beheiligte Natur-Wissenschaft derer in Heil. Schrifft vorkommenden natürlichen Sachen […] deutlich erklärt. Bd. 1. Augsburg: Pfeffel; Ulm: Wagner, 1731. Halle, Franckesche Stiftungen: BFSt
Auch der Pietist Friedrich Christian Lesser (1692–1754) war ein herausragender Vertreter der Physikotheologie und stand den Halleschen Pietisten nahe. Lesser hatte in Leipzig und Halle Theologie studiert, und war als Schüler von August Hermann Francke pietistisch geprägt. Ab 1715 war Lesser Pfarrer in seiner Heimatstadt Nordhausen. Dort begann er eine eigene Naturaliensammlung anzulegen, deren Schwerpunkt Mineralien und Fossilien bildeten. Das Porträt zeigt ihn vor einem Schrank seiner Sammlung.
Die These, dass diese Tiere und Pflanzen in fernen Weltgegenden existieren und man sie nur noch nicht entdeckt hatte, vertrat auch der Querfurter Theologe und Diakon David Sigismund Büttner (1660–1719). Im Umfeld des Halleschen Pietismus war er es, der sich am intensivsten mit paläontologischen Phänomenen auseinandersetzte. Er korrespondierte mit August Hermann Francke und sandte diesem eine Vielzahl an Objekten für das Naturalienkabinett des Waisenhauses zu. Sein Hauptwerk über die »Sündfluth« sollte »der natürlichen Erkenntnis Gottes und seiner Creatur« dienen.
Johann Joachim Lange und pietistisches Nützlichkeitsdenken
In Halle selbst war es Johann Joachim Lange, der Sohn eines der engsten Vertrauten von August Hermann Francke, der sich mit mineralogisch-geologischen und bergbautechnischen Fragen auseinandersetzte. 1723 hatte er einen Lehrstuhl für Mathematik an der hallischen Universität erhalten, jedoch soll er sich eher mit naturkundlichen Fragen beschäftigt haben. In seinem Umfeld erschien die erste, hier ausgestellte Doktorarbeit über die Geologie der Region um Halle. Der Autor Johann Jakob Lerche interessierte sich dabei vor allem für die wirtschaftlich nützlichen Ressourcen im Boden.
Hier knüpft Johann Joachim Lange mit eigenen Veröffentlichungen an und zeigt damit ein für den Pietismus typisches Nützlichkeitsdenken: die Natur ist von Gott so eingerichtet, dass sie dem Menschen von Nutzen sein soll. Daraus erwächst für Lange die Anforderung an den Menschen, die Natur unter dem Aspekt der Nützlichkeit zu erforschen und dann auszubeuten. Aus diesem Grund hat Lange montanwissenschaftliche Vorlesungen an der Universität gehalten und in Publikationen die Jugend ermuntert, sich mit Fragen der regionalen Geologie zu beschäftigen.
Für das Nützlichkeitsdenken Langes und der Pietisten steht hier das Stück Steinkohle. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts begann Steinkohle, das immer knapper und teurer werdende Holz beziehungsweise Holzkohle als Brennstoff beim Salzsieden in Halle zu ersetzen. Diese Steinkohle wurde in Bergwerken bei Wettin und Löbejün, nördlich von Halle, abgebaut. Gerade die ökonomisch-kameralistische Literatur aus dem Umfeld des Halleschen Pietismus betonte immer wieder deren Nutzen für die Wirtschaft der Stadt.
Lange hat sich auch mit Fragen der mineralogischen Systematik beschäftigt. Auslöser dafür war das berühmte Werk Systema Naturae des schwedischen Naturkundlers Carl von Linné (1707–1778) von 1735, in dem dieser erstmals eine einheitliche Systematik hierarchischer Ordnungskategorien für alle »Drey Reiche der Natur« entwickelt. Johann Joachim Lange hat sich sehr intensiv mit Linnés Systematik auseinandergesetzt und sie auch an der Universität gelehrt. Sein wohl bekanntestes und einflussreichstes Werk war die Herausgabe des Systema Naturae in lateinischer und deutscher Sprache, für lange Jahre die einzige deutsche Übersetzung dieses Grundlagenwerks.
Der Kupferstecher, Maler und Naturkundler Gottfried August Gründler (1710–1775) hatte 1740 zusammen mit Johann Joachim Lange die deutsche Fassung von Linnés Systema Naturae herausgegeben. Parallel dazu hatte er das Linnésche System schon bei der Neuordnung der Kunst- und Naturalienkammer der Glauchaschen Anstalten zur Anwendung gebracht, auch bei der Ordnung der Mineraliensammlung. Für diese Erdgeschichte des hallischen Medizinprofessors Krüger (1715–1759) fertigte er Kupferstiche an. Auch dieses Werk steht in der physikotheologischen Tradition der Naturkunde zum Preise Gottes.
Dieses Kapitel ist der Entwicklung der Geologie zur anerkannten Wissenschaft gewidmet und zweigeteilt: Stehen im 18. Jahrhundert noch immer die Bibel und Sintfluttheorien im Vordergrund der Debatte, löste sich die »Geognosie«, wie sie damals genannt wurde, bald mehr und mehr von den traditionellen Bezügen zur Bibel oder verknüpfte sie mit neuen Theorien über den Bau und die Entwicklung der festen Erdrinde. An die Stelle des rein spekulativen Nachdenkens trat nun die empirische Erfahrung im Gelände, die es richtig zu interpretieren galt.
Naturgeschichte, Bergbau, Alchemie, Sammelleidenschaft und Schöpfungsglaube: um 1750 beginnt sich die Geologie auf dieser Grundlage als eigenständige Naturwissenschaft herauszubilden. Das deutete sich bereits in den vielen Theorien des 18. Jahrhunderts an, die über den Verlauf der Erdgeschichte spekulierten und manchmal von gewaltigen unterirdischen Feuern erzählten. Meistens aber stellten sie die biblische Sintflut ins Zentrum, über deren Auswirkungen und Mechanismen naturforschende Mediziner, Theologen und Gelehrte leidenschaftlich debattierten, darunter weltberühmte Universalgenies wie Gottfried Wilhelm Leibniz, aber auch naturforschende Professoren wie der hallische Mediziner Johann Gottlob Krüger (1715–1759).
In seiner Erdgeschichte vertrat der Hallenser Naturforscher Johann Gottlob Krüger die Ansicht, dass die Sintflut niemals solche gravierenden Veränderungen hätte hervorrufen können, wie sie heute auf der Erde beobachtet werden können. Krüger hielt stattdessen drei große vorsintflutliche Ereignisse für entscheidend, die nacheinander stattgefunden haben mussten: eine allgemeine Überschwemmung, eine globale Erdbebenkatastrophe mit Feuern, die zum Aussterben früher Wasserbewohner und zur Bildung von Schiefergesteinen führte, sowie mehrere lokale Erdbeben, die schließlich die Gesteinswelt zertrümmerten. Wann genau sich all das abgespielt haben sollte, wusste er aber nicht zu sagen.
Johann Esaias Silberschlag (1721–1791), pietistisch orientierter Theologe und Professor für Wasserbau, versuchte in seiner Geogenie zu zeigen, dass sich die Aussagen der Bibel und die Erkenntnisse der exakten Naturwissenschaften nicht widersprechen, sondern gegenseitig erhellen. Die Sintflut, gespeist aus einem riesigen Wasserreservoir im Erdinnern, steht im Zentrum seiner Theorie, der er darüber hinaus auch detaillierte Pläne der Arche beifügte. Die Aufteilung der Tierpaare im rettenden Schiff entspricht dabei Carl von Linnés Systema Naturae.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etablierten sich die typischen Methoden der Geologie: Minerale und Gesteine wurden anhand ihrer sinnlichen und chemischen Eigenschaften bestimmt, Gesteinsschichten stratigraphisch untersucht und erste geologische Karten angefertigt.
Die zweiteilige kolorierte Karte des sächsischen Erzgebirges zeigt typische Szenen aus dem Bergbau, der in dieser Region auf eine über 800-jährige Tradition zurückblicken kann und ihre die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung prägte. Wissen und Techniken des erzgebirgischen Bergbaus waren für die Geologie auf ihrem Weg zur Wissenschaft richtungsweisend, ganz besonders im deutschsprachigen Raum. Denn nach dem Siebenjährigen Krieg erfuhr der Bergbau einen regelrechten Modernisierungsschub. Bergakademien wurden gegründet, um auf wissenschaftlicher Grundlage Experten auszubilden, die den Rohstoffabbau zum wirtschaftlichen Wohl des Landes optimieren sollten. Die berühmte Bergakademie im sächsischen Freiberg wurde 1765 gegründet und schnell zum Zentrum und internationalen Vorbild dieser Entwicklung.
Dies ist, soweit bekannt, die erste, wenngleich noch grobe, geologische Karte Kursachsens. Sie veranschaulicht die geographische Verteilung der Gesteinsarten mithilfe verschiedener Farben, Zeichen und Buchstaben. Gezeichnet und veröffentlicht wurde sie vom sächsischen Berghauptmann Johann Friedrich Wilhelm von Charpentier (1738–1805), der an der Bergakademie in Freiberg lehrte. Sie war grundlegend für die umfassende geognostische Landesuntersuchung Sachsens ab Ende des 18. Jahrhunderts.
Das beeindruckende Lehrmodell des Treibeschachtes der Grube König David bei Annaberg aus der Zeit um 1800 diente einst dazu, Studenten der Bergakademie die Techniken und Funktionsweisen der Erzförderung unter Tage zu veranschaulichen. Da der Schacht entsprechend der Gebirgsfaltung nicht gerade, sondern s-förmig verläuft, wird er als verzogen bezeichnet. Gut zu erkennen ist auch das darüberstehende Fachwerkhäuschen, das den Göpel – eine wassergetriebene Fördermaschine – beherbergt.
Aushängeschild der Freiberger Akademie war der Mineraloge und Bergbauinspektor Abraham Gottlob Werner (1749–1817), dessen feingearbeitete Büste aus Meißener Porzellan hier über die vulkanischen Objekte wacht. Er war zweifellos der bekannteste und einflussreichste Geologe jener Zeit, der Studenten aus aller Welt in die kleine Bergbaustadt im Kurfürstentum Sachsen zog, unter ihnen auch der Romantiker Novalis (1772–1801), der Forschungsreisende Alexander von Humboldt (1769–1859) und der Geologe Leopold von Buch (1774–1853). Werner etablierte nicht nur die Geognosie, wie die Geologie damals genannt wurde, als empirisch arbeitende Erfahrungswissenschaft, sondern war auch Hauptvertreter des Neptunismus. Die Anhänger dieser einst populären Theorie der Gesteinsentstehung waren davon überzeugt, dass sich nahezu alle Gesteine nach und nach in einem Urozean gebildet und bei sinkendem Wasserspiegel abgelagert hätten, wodurch im Laufe der Zeit typische Schichtfolgen entstanden seien. Diese hatten sie in den mitteldeutschen Gebirgslandschaften genauestens beobachtet. Aktive Vulkane, die es dort ohnehin nicht zu sehen gab, hielten die Neptunisten für nebensächliche Erscheinungen, ohne jegliche Bedeutung für die Erdgeschichte. Die ältere Theorie aber, vertreten von den Vulkanisten, sah gerade in feuerspeienden Vulkanen die wichtigste gesteinsbildende Kraft, auch wenn sie über deren Funktionsweise lediglich spekulieren konnten. Nach seinem Tod verloren Werners neptunistische Thesen rasch an Bedeutung, seine Methoden der Geognosie aber prägten die Forschungspraxis der jungen Geologie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
Der Basaltstreit
An der Frage Ist der Basalt im Wasser oder im Feuer entstanden? entzündete sich um 1780 ein jahrelanger scharfer Disput zwischen Neptunisten und Vulkanisten, der als Basaltstreit berühmt geworden ist und uns sogar in Goethes Faust begegnet. Er kann sozusagen als Gründungsdebatte der modernen Geologie in Deutschland gelten. Den Sieg fuhren am Ende die Vulkanisten ein, deren Ansicht sich schließlich im frühen 19. Jahrhundert allgemein durchsetzte. Denn ihre Forschungen, unter anderem in der Eifel und der französischen Auvergne, ließen kaum mehr daran zweifeln, dass Basalt keinesfalls ein Kind des Wassers sein konnte. Heute wissen wir, dass Basalt ein vulkanisches Gestein ist, das entsteht, wenn dünnflüssiges Magma an der Erdoberfläche oder im Ozean austritt und relativ schnell zu Basaltlava erkaltet. Die ozeanische Kruste besteht hauptsächlich aus Basalt, aber auch auf dem Festland, etwa in den deutschen Mittelgebirgen, kommt das feinkristalline Gestein häufig vor.
Wenn Lava langsamer abkühlt und sich zusammenzieht, kann es zu Spannungen im Gestein kommen. Die dabei auftretenden Schrumpfungsrisse verlaufen senkrecht zu den Abkühlungsflächen, wodurch sich polygonale – häufig sechseckige – prismatische Säulen bilden. Dieser Säulenbasalt ist überall auf der Welt zu finden, in Deutschland zum Beispiel in der Eifel, im Erzgebirge oder in der Oberlausitz, wo auch dieses Exemplar herkommt.
Berühmt sind die großen Basaltsäulengebiete in Nordirland und an der schottischen Westküste, wie etwa auf der kleinen Insel Staffa. Scipione Breislaks (1750–1826) Atlas der Basaltformationen führte Zeitgenossen den Reichtum der bisweilen bizarren Basaltlandschaften Europas und Mexikos auf hochwertigen Kupferstichen vor Augen.
Die Vulkanisten maßen feuerspeienden Vulkanen und vermeintlichen großen unterirdischen Feuern zentrale Bedeutung für die Gesteinsbildung zu, wenngleich sie das zugrundeliegende Prinzip aufsteigender Gesteinsschmelzen (Magma) noch nicht erkannten.
Werner und seine Anhänger wie Gegner orientierten sich noch stark an der Vorstellung klassischer Schichtvulkane mit großen Kratern wie dem Ätna oder dem Vesuv, die Asche und Lavaströme hervorbrachten und immer wieder beliebte Ziele von Forschungs- und Kavaliersreisen waren.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten sich zunächst die Forschungsmethoden der Geologie allmählich herausgebildet, wie etwa die Mineral- und Gesteinsanalyse, die Untersuchung von Gesteinsschichten im Gelände, das Anfertigen von geologischen Karten oder die Beschreibung von Fossilien. Nun, um 1800, stand die Geologie inmitten ihrer Blüte und entwickelte sich zu einer regelrechten Modewissenschaft. Aufwendige Forschungsreisen und Exkursionen führten häufig zu vollkommen neuen Erkenntnissen und waren für jeden Geologen, der etwas auf sich hielt, unverzichtbar.
Viele Geologen des frühen 19. Jahrhunderts, Katastrophisten genannt, meinten, die Erde sei in der Vergangenheit wiederholt durch gewaltige Naturkatastrophen grundlegend verändert worden. Einige von ihnen hielten die biblische Sintflut für die jüngste und vorerst letzte Katastrophe, die das heutige Aussehen der Erde geprägt habe. Nach 1830 setzte sich die Überzeugung durch, dass die Erde seit ihrer Entstehung einem unablässigen Wandel unterliege, der unspektakulär, extrem langsam und oft tief in ihrem Innern ablaufe. Auch wenn er nicht unmittelbar beobachtet werden könne, vermöge er dennoch, Gebirge hervorzubringen und wieder abzutragen – durch Zeiträume jenseits aller Vorstellungskraft. Die »Entdeckung der Zeit« war eine der bedeutendsten Errungenschaften auf dem Weg zur modernen Geologie.
Katastrophismus
Georges Cuvier (1769–1832) gilt als Hauptvertreter der im frühen 19. Jahrhundert noch populären Katastrophentheorie. Seine Forschungen waren wegweisend für die moderne Paläontologie, denn es gelang ihm, viele ausgestorbene Tierarten oft nur anhand weniger versteinerter Knochenreste erstaunlich genau zu rekonstruieren. Da diese nur in bestimmten Gesteinsschichten vorkamen, schien klar, dass die Erde sich immer wieder sprunghaft verändert haben musste. Das erste fossile Skelett eines Plesiosaurus, eines langhalsigen Meeresreptils, wurde allerdings von einer Frau im Jahr 1821 entdeckt und minutiös freigelegt: der Fossiliensammlerin Mary Anning (1799–1847), die wenige Jahre zuvor auch das erste Skelett eines Fischsauriers (Ichthyosaurus) ausgegraben hatte.
Aktualismus
Ein vehementer Gegner Cuviers war der britische Geologe Charles Lyell. Er behauptete, dass Cuvier und all die anderen sogenannten Katastrophisten die geologischen Befunde vollkommen falsch deuteten. Was auf den ersten Blick wie ein plötzlicher, gewaltiger Umbruch erscheine, sei in Wahrheit das Ergebnis unendlich langsamer, gleichförmiger und kontinuierlicher Prozesse. In einem ewigen Kreislauf entstünden so Landschaften und Lebenswelten, die sich wandelten und wieder vergingen. Die gleichen geologischen Kräfte und Prinzipien, die vor Millionen von Jahren schon wirkten, prägten die Erdoberfläche laut Lyell auch heute noch. Lyells Prinzip des steten Wandels, der kaum sichtbar ablaufe, sich anhand weniger Spuren aber rekonstruieren lasse, wird Uniformitarismus oder auch Aktualismus genannt. Beide Sichtweisen, Katastrophismus und Uniformitarismus, standen sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber.
Bändererze sind eisenhaltige marine Sedimentgesteine mit magnetischen Eigenschaften, die in der Frühzeit der Erde entstanden sind und somit zu den ältesten Gesteinen der Erde gehören. Da im Meerwasser und der Atmosphäre noch kein Sauerstoff vorhanden war, sind sie nicht oxidiert. Unter den heutigen Bedingungen auf der Erde können sie nicht mehr entstehen und widerlegen so die These des Aktualismus.
Die Illustrationen aus der Agenda Geognostica zeigen ausgewählte Werkzeuge, Geräte und Messinstrumente der Geologie des frühen 19. Jahrhunderts: Geologenkompass mit Gradbogen (12), Gradbogen mit Lot (13), einfaches Klinometer (14), Differenzial-Barometer (15), Register-Thermometer nach James Six (16) und Daniel Rutherford (17). Neben dem obligatorischen Hammer, dem Hauptwerkzeug des Geologen, waren vor allem der Kompass mit Gradbogen und das Barometer zur Höhenmessung unentbehrlich. Das Buch geht auch auf die Handhabung und Praxistauglichkeit der teuren wie empfindlichen Ausrüstung ein und empfiehlt verlässliche Hersteller. Gute Instrumente, die die Kartierungsarbeit erleichterten, waren für den Geologen unverzichtbar. Sie lieferten immer mehr und vor allem genauere Daten, um den Geheimnissen der Gesteinswelt auf die Spur zu kommen.
Ideale Profildarstellungen der Erdrinde, die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer beliebter wurden, sollten alle wesentlichen geologischen Verhältnisse und Prozesse übersichtlich auf einen Blick veranschaulichen. Sie spiegeln den Wissensstand ihrer Entstehungszeit, aber auch die individuellen Ansichten der Autoren zu den treibenden Kräften und Prinzipien der Erdgeschichte wider.
Der englische Geologe Henry Thomas de la Bèche (1796–1855) schuf 1830 mit seinem später oft kopierten und adaptierten Aquarell die erste Rekonstruktion einer vorzeitlichen Lebenswelt mit Pflanzen und Tieren. Er stützte sich dabei auf Funde aus Südwestengland. Zwischen Flugsauriern, Schildkröten und Krokodilen finden sich – in einen dramatischen Kampf verwickelt – Plesiosaurus und Ichthyosaurus, die erstmals von Mary Anning ausgegraben worden waren.
Die Geologie entwickelte sich um 1800 zu einer regelrechten Modewissenschaft, die sowohl Naturforscher als auch Laien anzog, so auch den hallischen Juristen Christian Keferstein (1784–1866), dem dieses Kapitel gewidmet ist. Schon als Kind begeisterte er sich für Steine und legte eine umfangreiche Sammlung an, die er später den Franckeschen Stiftungen schenkte. Als Amateurgeologe brachte er es zu einigem Ansehen, unter anderem durch sein ehrgeiziges Pionierprojekt einer geologischen Karte ganz Deutschlands.
Auf dem Gelände des Halleschen Waisenhauses wurde im frühen 18. Jahrhundert erstmals Aluminit gefunden, und zwar bei Bauarbeiten im Botanischen Garten des Königlichen Pädagogiums. Im Jahr 1730 gab der hallische Mediziner Johann Jakob Lerche (1708–1780) in seiner Oryctographia Hallensis – noch unter der Bezeichnung »Lac lunae« (lat. Mondmilch) – eine erste Beschreibung des seltenen Sulfatminerals.
Christian Keferstein beschäftigte sich in seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit mit dem Aluminit und beschrieb weitere Vorkommen im Umkreis von Halle, unter anderem bei Morl. Weltweit sind heute nur etwa 60 Fundorte des Minerals bekannt, das auch als ›hallische Erde‹ bezeichnet wird.
Wir wissen leider nicht, wie Christian Keferstein ausgesehen hat. Vielleicht können wir ihn uns ein bisschen so vorstellen wie den ganz in die andächtige Betrachtung eines Steins versunkenen Geologen auf dem Bild von Carl Spitzweg (1808–1885). »Bald wurde der Wanderstab auch weiter gesetzt; […] stets hatte ich den Ränzel auf dem Rücken, den Hammer in der Hand und war mit Steinen beladen«, schrieb Keferstein in seinen Memoiren. Spitzwegs Forscher wirkt dabei etwas aus der Zeit gefallen und mit der fürs Steinesammeln ungeeigneten Botanisiertrommel eher schrullig. Keferstein hingegen stand auf der Höhe der Zeit und galt lange als respektabler und engagierter Geologe.
Biografie Christian Keferstein
Keferstein entstammte einer alten Papiermacher-Familie, sein Urgroßvater war einst Pächter der Papiermühle am Saaleufer in Kröllwitz. Christian aber, der in einem aufgeklärten und gebildeten Haushalt aufwuchs, sollte kein Papiermüller werden, sondern Jurist, ganz wie sein Vater. Schon bald nach seinem Universitätsstudium praktizierte Keferstein als Rechtsanwalt; erfolgreich und mit beachtlichem Einkommen zwar, aber ohne rechte Leidenschaft. Seit Kindheitstagen galt seine eigentliche Liebe der Welt der Steine, die durch einen geheimnisvollen Dachbodenfund entfacht wurde: ein Kästchen mit funkelnden Mineralien, das einst seiner Mutter gehört hatte und dem sich der Knabe fortan begeistert widmete. Dieser kleine Schatz bildete den Grundstock seiner späteren großen Sammlung. Als Schüler und Student beschäftigte sich Keferstein in jeder freien Minute mit den Naturwissenschaften, besuchte die mineralogischen Sammlungen der Stadt, hörte Vorlesungen in Chemie und Physik und durchstreifte die Umgebung Halles auf der Suche nach außergewöhnlichen Exemplaren für seine Gesteinssammlung. Später, als er schon mitten im Berufsleben stand, besuchte er die naturphilosophischen Kollegien des charismatischen Naturforschers Henrik Steffens (1773–1845). Seine Freizeit widmete er ganz der Mineralogie und Geognosie, deren Handwerkszeug er sich nach und nach aneignete. Unterstützt wurde er dabei von seinem Schwager Ernst Friedrich Germar, der sich vor allem mit fossilen Insekten beschäftigte und Keferstein seine Vorlesungsmitschriften aus Studententagen zum Selbststudium überließ. Germar hatte im sächsischen Freiberg das Bergfach beim Mineralogen und Ober-Neptunisten Abraham Gottlob Werner studiert, dem Sie in der vierten Abteilung bereits begegnet sind. Keferstein, der lieber in der Natur beobachtete, als am Schreibtisch zu hocken, unternahm nun immer ausgedehntere Reisen, von denen er vor der Naturforschenden Gesellschaft und zunehmend auch in eigenen Schriften berichtete.
Als verheirateter Königlich-Preußischer Justiz-Kommissar und Hofrat mit einem ansehnlichen Vermögen zog sich Keferstein in den 1820er Jahren allmählich aus dem juristischen Dienst zurück, um nun ausschließlich für die Wissenschaft zu leben. Er machte es sich zur Hauptaufgabe, die vielen deutschen Regionen mit ihren Mittelgebirgen, aber auch die Alpenbergwelt zu durchwandern und geologisch zu untersuchen. Dabei begegnete er den bedeutendsten Naturforschern und Geologen seiner Zeit – Johann Carl Wilhelm Voigt (1752–1821), Ami Boué (1794–1881) und Carl Cäsar von Leonhard (1779–1862) etwa –, mit denen er Beobachtungen austauschte und allmählich ein ansehnliches Korrespondenznetzwerk knüpfte.
Auf seinen zahlreichen geognostischen Reisen wollte er sich einen gründlichen Überblick über die geologischen Verhältnisse ganz Deutschlands und Mitteleuropas verschaffen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse mündeten schließlich in einem Projekt, das ihn zehn Jahre lang beschäftigte: einem farbigen geognostischen Atlas samt wissenschaftlicher Fach-zeitschrift. Kolorierte geologische Karten waren an sich nichts Neues, hatten sich aber bis-her nur auf bestimmte Regionen beschränkt und verzeichneten vor allem wirtschaftlich verwertbare Bodenschätze. Was Keferstein jedoch vorschwebte, eine geologische Generalkarte Deutschlands nämlich, ergänzt durch regionale Spezialkarten, war zu diesem Zeit-punkt etwas Einzigartiges. Zusammen mit einem Weimarer Wissenschaftsverlag, der den Druck übernahm und topographische Karten bereitstellte, auf die Keferstein die Grenzen der Gesteinsformationen übertrug, entstand so die erste geologische Überblickskarte Gesamtdeutschlands.
Besonders schwierig war die Wahl der passenden Farben, um die verschiedenen Gesteine deutlich und ästhetisch ansprechend hervorzuheben. Kein geringer als Johann Wolfgang von Goethe, der sich ebenfalls für Geologie begeisterte, konnte dafür gewonnen werden, ein ausgewogenes Farbsystem zu entwerfen, was Keferstein mit großem Stolz erfüllte. Unter dem Titel Teutschland geognostisch-geologisch dargestellt, mit Charten und Durchschnittszeichnungen, welche einen geognostischen Atlas bilden erschienen Karten und Zeitschrift in sieben Bänden mit insgesamt 20 Heften. Der erhoffte Erfolg aber wollte sich nicht so recht einstellen, denn sie verkauften sich nur mäßig. Zu allem Übel hatte der renommierte Geologe Leopold von Buch ein weitaus detaillierteres Konkurrenzprodukt veröffentlicht, das Kefersteins Bemühungen schlagartig in den Schatten stellte. Es war das vorzeitige Aus für das ambitionierte Kartenprojekt, das der Amateurgeologe Christian Keferstein weitestgehend im Alleingang bewältigt hatte.
Diese Niederlage bedeutete jedoch keineswegs das Ende für sein Wirken: bis 1840 durchreiste er weiterhin die Gebirge Mittel- und Osteuropas und publizierte seine Erkenntnisse, veröffentlichte gar eine hoch angesehene Geschichte der Geognosie seit ihren Anfangstagen. Mit fortschreitendem Alter jedoch fiel ihm das kräftezehrende Wandern immer schwerer. Er suchte nach neuen Betätigungsfeldern, die sich notfalls auch bequem vom Schreibtisch aus durchstreifen ließen und fand sie in der Ethnographie, Archäologie und Sprachgeschichte. Keferstein starb, von der Fachwelt bereits nahezu vergessen, am 28. August 1866 in seiner Heimatstadt.
Heute sind seine erhaltenen Zeugnisse und Sammlungen wie die vielen Gesteine und Mineralien, seine Forschungsbibliothek und die faszinierenden Karten ein wertvoller Schatz, der spannende Einblicke erlaubt in eine Naturwissenschaft im Entstehen.
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) versicherte in seinem Brief, Kefersteins Arbeit an den geologischen Karten »theilnehmend verfolgen« und sich »von Zeit zu Zeit mit den ausführenden Künstlern« besprechen zu wollen. Zudem zeigte er sich zuversichtlich, dass es dem Kartenprojekt »an guter Wirkung […] nicht fehlen« werde.
Wenige Jahre nach ihrem Zusammentreffen in Paris bedankte sich Alexander von Humboldt (1769–1859) bei Keferstein für einen Brief und die Übersendung »Ihres so überaus lehrreichen und wichtigen Werkes«. Weiter schrieb er: »Seit dem ich das Vergnügen hatte, Sie in Paris zu sehen haben Sie nicht aufgehört Ihre Thätigkeit auf die Gebilde von Deutschland zu richten«. Humboldt versprach, »überall, nach meinen geringen Kräften, dazu beizutragen Ihre Zwekke zu fördern.« Keferstein hatte sich von seiner Bekanntschaft mit Humboldt offensichtlich aber nicht nur dessen Fürsprache in einflussreichen Kreisen versprochen, sondern ihn darüber hinaus gebeten, dem preußischen König und dem Kronprinzen Exemplare seiner Werke zu überreichen. Diesen »gütigst geäußerten Wunsch« aber, »erlaubt es meiner Lage leider! nicht unmittelbar zu erfüllen, da eherne Gesetze der Form diese Sendungen […] bestimmen.« Keferstein wusste wohl und wollte davon profitieren, dass Humboldt seine Nähe zum preußischen Königshaus gelegentlich nutzte, um sich für kulturelle und wissenschaftliche Anliegen einzusetzen und junge talentierte Künstler und Wissenschaftler zu fördern.
Die historischen Karten aus dem Nachlass des halleschen Geologen und Mineralogen Christian Keferstein sind nun auch in den Digitalen Sammlungen des Studienzentrums August Hermann Francke verfügbar.
Ein Jahr nach seinem Erstlingswerk veröffentlichte Keferstein ein weiteres Buch zu den »basaltischen Gebilden«, dem nun eigene Beobachtungen in Sachsen, Hessen, Bayern und den Rheingegenden zugrunde lagen, wo er »sehr deutliche Beweise für ihre Vulkanität« fand. Zu dieser Zeit, kurz nach Werners Tod, war die Ansicht von der neptunischen Entstehung des Basalts zwar noch allgemein verbreitet, fand aber in der Fachwelt immer weniger Anhänger.
Die Herausgabe dieser Zeitschrift, das Verfassen der Artikel und die Erarbeitung der Karten beschäftigten Keferstein zehn Jahre lang. Absatzprobleme und Spannungen mit dem Verleger brachten das ambitionierte Projekt nach sieben Bänden mit insgesamt 20 Heften schließlich zum Erliegen.
In seiner Autobiographie schilderte Keferstein hauptsächlich sein Wirken in der Geologie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei inszenierte er sich als unabhängiger, den herrschenden Ansichten mutig entgegentretender Geologe. Die stets erhoffte Anerkennung von Fachkollegen blieb ihm allerdings weitgehend verwehrt. Nach 1840 wandte sich Keferstein, auch wegen seines fortgeschrittenen Alters, das keine Wanderungen mehr zuließ, anderen Themen zu – wiederum mit ganz eigentümlichen Thesen. So versuchte er etwa mittels Sprachforschung und archäologischen Quellen, das »Keltenthum der Germanen« zu beweisen.
Gebildete Dilettanten wie Keferstein waren noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Seltenheit und bereicherten mit ihrer Forschung die Geologie auf ihrem Weg zur anerkannten Wissenschaft. Um 1850 aber wurden sie zu einem Auslaufmodell, die Zeiten der Quereinsteiger ohne naturwissenschaftliches Studium waren nun vorbei. Die Geologie hatte sich als eigenständige Wissenschaft an den Universitäten etabliert.
»Wir können also das Menschengeschlecht als eine Schar kühner, obwohl kleiner Riesen betrachten, die allmählich von den Bergen herabstiegen, die Erde zu unterjochen und das Klima mit ihrer schwachen Faust zu verändern. Wie weit sie es darin gebracht haben mögen, wird uns die Zukunft lehren.«
Johann Gottfried Herder (1744–1803)
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791)
Die Ausstellung endet mit einem Zeitsprung in die Gegenwart. Damit schließt sie an das Jahresthema der Franckeschen Stiftungen Berge versetzen. Über Tatkraft in Geschichte und Gegenwart an. Dieses Motto ist angesichts des erfolgreichen Wiederaufbaus der Stiftungen durchaus positiv zu werten. Im Kontext dieser Ausstellung möchten wir es umdeuten, da der Mensch heute die Erde in noch nie dagewesener Weise gestaltet und verändert. Spätestens seit Beginn der industriellen Revolution vor rund 250 Jahren greift der Mensch massiv in das globale Ökosystem ein und beeinflusst zugunsten seiner stetig wachsenden Bedürfnisse atmosphärische, biologische und geologische Prozesse. Was sich in Jahrmillionen entwickelte, vermag er innerhalb weniger Generationen unwiederbringlich zu zerstören. Angesichts der unvorstellbar langen Erdgeschichte, die sich im 19. Jahrhundert offenbarte, galt der Mensch lange Zeit als nahezu unbedeutende Randerscheinung ohne großen Einfluss. Nun rückt er wieder mitten ins Zentrum des Geschehens. Deshalb wird nicht nur unter Geologen darüber diskutiert, ob durch diesen tiefgehenden menschlichen Eingriff eine neue geologische Erdepoche eingesetzt hat: das Anthropozän – das Zeitalter, in dem der Mensch fundamental die Erde verändert. Das letzte Kapitel der Ausstellung möchte zum Nachdenken darüber anregen.