Fragen stellen. Impulse setzen. Reformation verantworten
Die Franckeschen Stiftungen im Reformationsjubiläum 2017
Die Franckeschen Stiftungen im Reformationsjubiläum 2017
Es kommt selten vor, dass sich die Erklärung komplexen Weltgeschehens in einer einzelnen Person verdichten lässt. Bei Martin Luther bietet sich das an. Mit seinen Thesen, seinen Schriften, seinen Äußerungen und nicht zuletzt mit seinen Taten setzte er zweifellos Dinge in Gang, die die Welt verändert haben. Im Vorlauf des 500-jährigen Jubiläums seines berühmten Thesenanschlags wurden ein ganzes Jahrzehnt lang wechselnde Jahresthemen gesetzt, die mit seinen reformatorischen Impulsen im Zusammenhang stehen. Als Lutherdekade ausgerufen reifte allerdings schon frühzeitig die Erkenntnis, dass es sich nicht um ein Lutherjubiläum handelt, auf das wir da zusteuern, sondern um das Gedenken an eine umfassende Bewegung, die sich zwar in der Person Luthers anschaulich machen lässt, die aber weit über ihn hinausreicht. Die Beschränkung des Jubiläums auf die historische Person Martin Luthers ist insofern verführerisch, weil sie starke Vereinfachungen zulässt, verführerisch auch, weil die Reformation dann greifbarer wird, ein Gesicht und einen Namen, sozusagen ein Klingelschild erhält und dem Narrativ eines hochkomplexen Geschehens Dinge beigemischt werden können, die zwar vordergründig zur kurzweiligen Illustration dienen können, jedoch von der ernsthaften Suche nach dem Verständnis reformatorischer Vorgänge auf ungute Weise abzulenken vermögen.
Die Erkenntnis, die Reformation nicht auf die historische Person Martin Luther zu beschränken, öffnet den Blick dafür, dass eine Vielzahl von Menschen und Ereignisketten ihren Anteil daran hatten und die Reformation als ein dauerhafter Prozess zu verstehen ist. Wie bei einem Staffellauf wurden die Ideen und Impulse der Reformation von Generation zu Generation weitergereicht und der reformatorische Prozess so in unterschiedlicher Weise fortentwickelt und ausgeformt. Auch der Pietismus bietet Beispiele dafür, wie die Ideen der Reformation von den Zeitgenossen des späten 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts neu aufgegriffen wurden. Ausgangspunkt der Bewegung war die Forderung nach einer inneren Neubelebung der lutherischen Kirchen. Zur Rückbesinnung auf die persönliche Auseinandersetzung mit Glaubensfragen und das Bibelstudium entstanden Konventikel, in denen unabhängig vom sozialen Stand und Bildungsgrad Christen zusammenfanden, um miteinander die Bibel zu lesen und sich darüber auszutauschen. Adlige, Gelehrte, Bürger und Handwerker saßen dort zusammen, Frauen waren willkommen. Maßstab war die christliche Disposition des Einzelnen und nicht dessen Stand. Auf diese Weise wurde aus einer religiös motivierten Initiative eine Bewegung, die im Handumdrehen das gesellschaftliche Gefüge in Frage zu stellen vermochte. Die Parallelen zum Beginn der Reformation sind unübersehbar. Der Pietismus griff deren emanzipatorischen Impuls wieder auf und setzte ihn fort. Der Hallesche Pietismus war es auch, der 200 Jahre nach Beginn der Reformation damit begann, das Luthertum in systematischer Weise über die Grenzen Europas hinaus zu tragen, so dass das große Jubiläum 2017 als ein weltweites Ereignis wahrgenommen und gefeiert wird.
Um die Reformation lebendig zu erhalten und sie nicht als ein Ereignis längst vergangener Zeiten abzutun, müssen wir auch heute aufs Neue ihre Grundideen aufgreifen, sie nach ihrer Relevanz in unserer Gegenwart und für unsere aktuellen Probleme und Herausforderungen befragen und daraus eigene Impulse herleiten. Zum Reformationsjubiläum machten wir es uns deshalb zur Aufgabe, den Staffelstab an die nächste Generation weiterzugeben. In unserem Themenjahr wollten wir die Reformation für Jugendliche begreifbar und gestaltbar machen und junge Menschen dazu einladen, die Impulse, die vor 500 Jahren ihren Anfang nahmen, auf ihre heutige Relevanz zu untersuchen und für sich lebendig werden zu lassen. Die Jahresausstellung »Du bist frei« war die einzige Ausstellung im reformationsjubiläum, die sich explizit an Juegendliche richtete. Sie war ein Experiment, ein moderner Thesenanschlag. In Gruppen durchliefen die Jugendlichen einen interaktiven Parcours, der die Themen der Reformation wie Angst, Gemeinschaft, Werte und neue Medien auf das Heute übertrug und die Jugendliche aufforderte, das Ausstellungsgeschehen selbst mitzugestalten. Aus einem Escaperoom fand die Gruppe nur gemeinsam wieder heraus, an der Heldenwand und dem Wert-O-Mat konnten Vorbilder und moderne Tugenden durchleuchtet, an einem Mischpult das Liedgut des Reformators mit groovigen Beats abgemischt werden. Was ist uns wichtig? Was macht uns Angst? Haben wir Vorbilder? Und was bedeutet eigentlich Freiheit für uns? Auch das Begleitprogramm zur Ausstellung stellte solche zentralen Fragen. Auf dem Franckeplatz wurde dafür ein eigener Raum geschaffen: der Wortwürfel. Er war Werkstatt, Ausstellungsfläche und Bühne in einem. Dort fanden gemeinsam mit zahlreichen Partnern der halleschen jungen Szene Workshops, Veranstaltungen und Aktionen statt. Die Freiraumgalerie, HaSi - Hafenstraße Sieben, Postkult e.V., die BeatGemeinschaft und viele mehr luden dazu ein, zu diskutieren, zu gestalten und Freiräume zu erobern. Zur Museumsnacht reflektierte auch das Künstlerkollektiv KLUB7 über »Du bist frei« haben zur Museumsnacht 2017 auch die Künstler und Künstlerinnen von KLUB7 reflektiert und die Inspiration für eine Live-Performance im Freylinghausen-Saal genutzt. Gemeinsam mit dem Miramode Orchestra entstand ein spektakuläres Kunstwerk aus Farbe, Licht und Musik. Zum Lindenblütenfest unter dem Motto »Aus den Tiefen des Mittelalters ab in die Neuzeit« entführten wir Jung und Alt in eine spätmittelalterliche Welt, die Luther mit seinen 95 Thesen auf den Kopf stellte: Eine Welt voller Seelennöte und doch bereit für neue Ideen.